Systemsprenger – Sprache ist nicht wirkungslos

Ich gebe zu: Es ist selten zielführend sich triggern zu lassen. Und schon gar nicht von Pressemitteilungen. Allerdings, wenn es so ins Auge sticht, das Wort das triggert, …

Systemsprenger. Für viele von uns kam das Wort mit einem erstaunlich eindringlichen Film gleichen Namens. Und mit den eindrücklichen schauspielerischen und dramaturgischen Leistungen, für der Film ja zu recht gelobt und ausgezeichnet wurde. SYSTEMSPRENGER. Das bleibt im Kopf und erreicht das Herz.

Da kommt Sprache und Alltagswelt-Erzählung durch Sprache ins Spiel. SYSTEMSPRENGER. Sprengen Systeme. Mit Gewalt. Tickende Zeitbomben. TERROR. Im Wortsinn, den kaum einer noch kennt, weil er ständig mit Adjektiven in eine gewünschte Bedeutung aufgeladen wird. Ich erspare Ihnen hier das Suchmaschinieren: Googles Oxford Languages sagt dazu auf deutsch:

  1. [systematische] Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen (besonders zur Erreichung politischer Ziele) „blutiger Terror“
  2. Zwang, Druck [durch Gewaltanwendung], „die Geheimpolizei übte Terror aus“

Es nennt auch Assoziationen: Druck, Nötigung, Zwang, Diktat, Pression, Kompulsion, Angst, Entsetzen, Furcht, Schrecken, Horror.

Systemsprenger sind Terroristen? Das Wort Terrorist ist im öffentlichen Sprachraum eindeutig demokratie-feindlich, system-sprengend aufgeladen. Ein Terrorist tötet friedliche Menschen, Systemangehörige, mit der Absicht, Angst und Schrecken zu verbreiten, um ein politisches oder monetäres Ziel zu erreichen. Er ist das Böse im Menschen.

Ja, aber, um der lieben Jugendhilfe willen (oder welches System wäre sonst gemeint?), was soll denn Terrorismus mit Kindern und Jugendlichen im System der Jugendhilfe zu tun haben?! Das ist doch absurd!

Ist es das? Wozu gibt es den Gewaltbegriff SYSTEMSPRENGER? Aus anderen Gründen, als eine Möglichkeit zur Abgrenzung von und Absonderung der Schutzbedürftigen zu ermöglichen, zu haben und zu etablieren? Abgrenzung zu den Friedlichen, Unschuldigen, Lieben, möglichen Opfer der Sprengenden (im übertragenen Wortsinn, aber dennoch).

Wer Systemsprenger sagt, sagt: Das sind die anderen. Euch/Uns trifft keine Schuld. Als müsse man diese Kinder und Jugendlichen als AUßENSTEHENDE drastisch kennzeichnen, um sich selbst entschulden zu können, sie abzusondern und aufzugeben.

Aufzugeben? Das geht zu weit, gebe ich zu. Die Meldung der Ministerin verkündet ja gerade, dass der Umgang mit „Systemsprengern“ durch neue Vernetzung, Aufmerksamkeit und Fortbildung besser händelbar gestaltet werden wird. Allerdings im kurzen Pressetext sieben mal mit dem ebendiesem Wort „Systemsprenger“. Das System ist in Ordnung wird suggeriert, es sind die „sogenannten“ Sprenger/Gewalttäter, die es überfordern.

Wozu die Aufregung hier? Es ist doch nur ein Wort?

Nein. Es ist eine Einstellung zu den Menschen, die betroffen sind von der menschlichen, kindlichen, jugendlichen, familiären und gesellschaftlichen, mitunter systemischen/system-immanenten Gewalt. Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Professionen, Verwaltungen, Systeme.

Monokausal? Keinesfalls. Das Problem haben wir als Gesellschaft und man darf es nicht kleinreden. Aber: Es wird nicht geringer und ist nicht erfolgversprechend lösbar durch eine was auch immer erheischen-wollende Aufladung und sprachliche Aufmunitionierung.

Kann man das ändern und wie? Ja, einfach. Ein anderes, nicht-diskriminierendes, nicht-ausgrenzendes, inklusiveres Wort finden und konsequent benutzen. Unsere moderne Gesellschaft beweist jeden Tag, dass so etwas möglich und sinnvoll ist.

Sprengen Sie doch Ihr Kommunikations-Repertoire … ähm … -System.

PS: PM auf die ich Bezug nehme

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